Viele Menschen tragen die Illusion in sich, dass sie an irgendeinem Tag von der Erlösung geküsst werden und alle sich Probleme und Sorgen in Luft auflösen – schwubs, und man ist endlich frei und losgelöst von allem was herunterzieht.
Wie soll ich sagen? Auch wenn diese romantische Sichtweise sehr verlockend erscheint, ist sie zum Scheitern verurteilt. Sicher: Es gibt Tage, an denen alles nach Plan läuft. An denen einem das Glück in den Schoss zu fallen scheint und man im Frieden mit sich selbst und der Welt ist. Die Zukunft schillert in verheissungsvollen Farben und die Vergangenheit vermag einen nicht herunterziehen. Es sind Gipfelerlebnisse, es ist das Gefühl endlich gecheckt zu haben, wie das Leben funktioniert.
Aber dann: In your Face!
Früher oder später muss man wieder vom Gipfel herunterzusteigen. Manchmal wird man auch geschubst oder springt freiwillig. «Nein! Erst gerade ging es mir doch noch so gut. Wie kann es sein, dass ich mich nun wieder so beschissen fühle?», denkt der Gedanke und zieht seine Kreise, wie ein Geier über einem halbtoten Gnu in der Serengeti.
Plötzlich ist es wieder da, das Loch tief in einem drin. So unerträglich, dass man alles dafür tut, um es zu stopfen. Weg mit den Selbstzweifeln und Angstzuständen, denkt man sich und unternimmt alles, um diese unangenehmen Wahrnehmungen abzustellen. Ob man sich jetzt mit Zucker oder Ketamin zuballert, man sich fünf Paar neue Schuhe kauft oder einen Typen nach dem anderen abschleppt, spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Spätestens jetzt sollte übrigens jedem klar sein, dass Konsum an sich nicht die Ursache des Bösen ist, sondern nur eine Reaktion darauf.
Auch wenn diese Abstumpfungstechniken kurzfristig helfen, so sind sie nachhaltig betrachtet absolut für den Arsch. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Es ist, als wolle man den Welthunger mit Soft Drinks und Fast Food bekämpfen oder den Vierwaldstädtersee mit einem Strohhalm austrinken.
JA sagen hilft!
Langfristig aber hilft es, sich diesen Empfindungen – mögen sie auch noch so bedrückend und überfordernd sein – zu öffnen. Sich in Akzeptanz zu üben und diesen Gefühlen und Gedanken Raum zu schenken:
Ja, lieber Selbstzweifel, du darfst hier sein und du darfst so lange bleiben wie es nötig ist.
Ja, ich fühle mich jetzt gerade beschissen und kraftlos.
Ja, ich fühle mich ohnmächtig und einsam.
Ja, ich bin gerade wütend.
Ja, ich fühle mich leer und ausgelaugt.
Ja, ich bin unglücklich verliebt und depressiv und so weiter.
Schliesslich sind diese herausfordernden Gefühlswelten und elenden Gedankenkarussells nicht du selbst, auch wenn sie dies immer wieder vorzugeben versuchen. Wenn du ihnen den Raum schenkst, den sie benötigen, wenn du dich traust sie zuzulassen und sie wahrzunehmen, dann werden sie wie von selbst verschwinden.
Halt, Stopp
Ups – jetzt hätte ich beinahe eine falsche Ausfahrt erwischt. Nein, sie werden nicht «wie von selbst verschwinden»! Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass sie uns bis ans Ende unseres Lebens begleiten werden. Was sich jedoch ändern kann ist, wie wir mit diesen Gefühlen und Gedanken umzugehen wissen. Und inwiefern wir diese, oberflächlich betrachtet, «negativen» Wahrnehmungen als grundsätzlichen Aspekt des Lebens akzeptieren können.
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